Lagerraum, in welchem wie in einer Bibliothek vom Fußboden bis zur Decke sämtliche Bücher aufgereiht standen, denen Ronnie wie schon sein Vater vor ihm zum Dasein verholfen hatte.
Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich mir im Vorzimmer die Korkwand betrachtete, an der die Einbände der letzten Ernte angepinnt waren, Bücher, die jetzt in den Buchläden auslagen. Zum wiederholten Male fragte ich mich, wie wohl dereinst mein eigenes Baby aussehen würde. Es machte ganz den Eindruck, als gewährte man den Anfängern kein großes Mitspracherecht bei der äußeren Gestaltung der Bücher.
«Vertraue ganz auf die Profis«, hatte mir Ronnie beschwichtigend geraten.»Die wissen schon, auf was die Käufer anspringen.«
Mir war damals der zynische Gedanke gekommen, daß das manchmal so überhaupt nicht den Anschein machte. Jedenfalls blieb mir nicht viel mehr als die blanke Hoffnung.
Ronnies Tür ging auf, und er streckte seinen Kopf heraus, dann seinen Hals und einen Teil seiner Schulter.
«John? Komm doch bitte herein.«
Ich ging in sein Büro, das mit einem Schreibtisch, einem Drehsessel, zwei Gästestühlen, einem Schrank und grob geschätzt tausend Büchern eingerichtet war.
«Tut mir leid, daß ich dich habe warten lassen«, sagte er.
Er entschuldigte sich so nachdrücklich, als hätte ich einen festen Termin bei ihm gehabt, und brachte mich allem Anschein nach hocherfreut über mein Kommen in sein Büro. So führte er sich bei jedem auf. Ein überaus erfolgreicher Agent, dieser Ronnie.
Er war zuvorkommend und überschwenglich, beinahe rührend. Kleingewachsen, mit glattem, dunklem Haar und zarten, trockenen Händen, trat er stets mit Anzug, weißem Hemd und gestreifter Krawatte auf. Die Autoren, das jedenfalls suggerierte sein repräsentativer Aufzug, durften ruhig in rotblauen Skianzügen und schneeabweisenden Moonboots antreten; die ernsten Geschäfte wurden jedoch im nüchternen Zwirn abgewickelt.
«Kalt draußen«, sagte er mit einem verständnisvollen Blick auf meine Kleidung.
«Der Matsch im Rinnstein ist knallhart gefroren.«
Er nickte, wobei er nur mit halbem Ohr zuhörte und seine Aufmerksamkeit auf den anderen Klienten richtete, der auf seinem Stuhl sitzen geblieben war, als wollte er dort noch den Rest des Tages verweilen. Es kam mir vor, als würde Ronnie unter der Fassade seines selbstsicheren Auftretens gegen eine schwelende Verärgerung ankämpfen. Ein ungewöhnliches Bild, das so überhaupt nicht zu seiner unermüdlichen und sonst stets lässig zur Schau getragenen Bonhomie passen wollte.
«Tremayne«, redete er seinen Gast jovial an,»das hier ist John Kendall, ein brillanter junger Autor.«
Da Ronnie in aller Regel jeden seiner Autoren als brillant bezeichnete, auch wenn mehr als genug für das Gegenteil sprach, fühlte ich mich nicht besonders in Verlegenheit gebracht.
Tremayne zeigte sich ebenfalls wenig beeindruckt. Tremayne, grauhaarig, so um die Sechzig, ein massiger und sehr selbstsicherer Mann, war von der Unterbrechung zweifellos nicht sehr angetan.
«Wir sind noch nicht fertig mit unseren Geschäften«, sagte er ungnädig.
«Zeit für ein Gläschen Wein«, schlug Ronnie vor, wobei er den Einwand einfach ignorierte.»Was nehmen Sie, Tremayne?«
«Gin Tonic.«
«Ah… ich meinte: weißen Wein oder lieber roten?«
Nach einer Pause erwiderte Tremayne mit betont enervierter Resignation:»Dann einen roten.«
«Tremayne Vickers«, sagte Ronnie unverbindlich in meine Richtung, womit er die Vorstellungsrunde abschloß.»Auch einen roten, John?«
«Gern.«
Ronnie wuselte umher, schob Bücherstapel und Zeitungen beiseite, um Platz zu schaffen, zauberte Gläser, eine Flasche und einen Korkenzieher hervor und war mit einem Mal die Konzentration selbst.
«Auf die Branche«, sagte er lächelnd und reichte mir ein Glas.
«Auf den Erfolg«, sagte er zu Vickers.
«Erfolg? Welchen Erfolg? Diese Schreiberlinge sind doch allesamt zu groß für ihre eigenen Fußstapfen.«
Ronnie schaute unweigerlich auf meine Stiefel, deren Stapfen für jeden groß genug waren.
«Es hat keinen Zweck, wenn Sie mir immer wieder erzählen, meine Bezahlung sei indiskutabel«, setzte Tremayne nach.»Die Kerle sollten froh sein, daß sie etwas zu tun bekommen. «Er musterte mich knapp und fragte taktlos:»Wieviel verdienen Sie pro Jahr?«
Ich lächelte ebenso sanft wie Ronnie und blieb ihm die Antwort schuldig.
«Verstehen Sie etwas vom Rennsport?«wollte er wissen.
«Pferderennen?«
«Selbstverständlich Pferderennen.«
«Tja«, meinte ich,»nicht allzuviel.«
Jetzt griff Ronnie ein:»Tremayne, John ist nicht der Autor, den Sie suchen.«
«Schreiberling ist Schreiberling. Das kann jeder von denen erledigen. Sie haben mir gesagt, es sei falsch, nach großen Namen zu schielen. Also gut, dann besorgen Sie mir eine kleinere Nummer. Vorhin meinten Sie, Ihr Freund hier ist brillant. Wie wäre es denn mit ihm?«
«Äh«, sagte Ronnie behutsam.»Brillant, das ist nur so… äh… eine Art Redewendung. Er ist wißbegierig, sehr talentiert und impulsiv.«
Ich grinste meinen Agenten belustigt an.
«Also ist er nicht brillant?«fragte Tremayne ironisch. An mich gewandt sagte er:»Was haben Sie denn bislang veröffentlicht?«
«Sechs Reisebücher und einen Roman«, antwortete ich dienstfertig.
«Reisebücher? Was denn für Reisebücher?«
«Wie man sich im Dschungel durchschlägt, oder in der Arktis, oder in der Wüste. So was in der Richtung.«
«Für Leute, die sich in den Ferien gerne das Leben schwermachen«, sagte Ronnie mit der nachsichtigen Ironie derjenigen, die sich der Bequemlichkeit verschrieben haben.»John hat für ein Reisebüro gearbeitet, das darauf spezialisiert ist, die Unerschrockenen das Fürchten zu lehren.«
«Oh. «Tremayne blickte ohne große Begeisterung in sein Weinglas und wagte nach einer Weile einen weiteren Versuch:
«Es muß doch jemanden geben, der sich mit Freude auf den Job stürzt!«
Mehr aus Höflichkeit denn aus brennender Neugierde fragte ich:»Was möchten Sie denn geschrieben haben?«
Ronnie machte eine Handbewegung, als wollte er sagen:
«Frag bloß nicht«, doch Tremayne antwortete ohne Umschweife.
«Meine Lebensgeschichte.«
Ich blinzelte. Ronnies Augenbrauen tanzten auf und ab.
«Man sollte meinen«, fuhr Tremayne fort,»daß sich diese Hansel von Sportreporter vor Freude überschlagen, aber die haben mich alle sitzenlassen. «Er klang sehr betrübt.»Vier von denen.«
Er zitierte die Namen, die durchaus so bedeutsam waren, daß sogar ich, der ich mich kaum mit Pferdesport befaßte, schon von ihnen gehört hatte. Ich blickte zu Ronnie hinüber. Er signalisierte Resignation.
«Es gibt bestimmt noch andere«, sagte ich ruhig.
«Es gibt welche, die würde ich keinen Millimeter über meine Schwelle lassen. «Die Streitsucht, die in seiner Stimme mitschwang, mochte einer der Gründe für seinen Verdruß sein, dachte ich mir. Mein Interesse an ihm schwand, und Ronnie, der den Umschwung mit wiedererweckter guter Laune quittierte, schlug sofort vor, ein paar Sandwiches einzunehmen.
«Eigentlich hatte ich gehofft, daß Sie mich zum Mittagessen in Ihren Club einladen«, sagte Tremayne mürrisch. Ronnie parierte mit einem vagen >Die Arbeit, die Arbeit< und gestikulierte in Richtung des überquellenden Schreibtisches.»In letzter Zeit schlinge ich mein Mittagessen nur noch nebenbei herunter.«
Dann öffnete er die Tür und steckte den gleichen Ausschnitt seines Körpers hinaus wie kurz zuvor.
«Daisy?«: rief er den Flur hinunter.»Rufen Sie doch bitte unten im Sandwichladen an. Die übliche Auswahl. Wer will, kann mitessen. Zählen Sie erst durch, ja? Wir hier sind zu dritt.«
Ohne weitere Diskussionen tauchte er wieder bei uns auf. Tremayne gab sich weiterhin verstimmt, und ich nippte voll Dankbarkeit an meinem Wein.
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