»Und wer seid Ihr?«, fragte Vethana herablassend, obwohl ihre Züge ein wenig Verunsicherung verrieten.
»Omeon ist der Älteste unter allen vier Völkern«, erklärte Peredin. »Er wurde geboren, als das Alte Reich der Menschen zerbrach.«
Athanor starrte den Greis ungläubig an. Dass Elfen mehrere Hundert Jahre lebten, hatte er gewusst, doch das Ende des Alten Reichs lag fast tausend Jahre zurück. Selbst der Erhabene war nur halb so alt.
»Und er scheint Einblick in Bereiche zu haben, die uns verschlossen sind«, fügte Mahalea hinzu. Aus ihrem Mund klang es jedoch eher anklagend als anerkennend.
»Seid Ihr gerade erst zurückgekehrt?«, erkundigte sich Peredin. »Wir hätten in dieser Angelegenheit gern schon früher mit Euch gesprochen.«
»Ich bedaure, dass Ihr auf mich verzichten musstet«, antwortete Omeon mit dem Lächeln eines Manns, der wusste, dass nicht er, sondern nur sein Nutzen vermisst worden war. »Ich habe … wichtige Verhandlungen geführt.«
»Verhandlungen?« Der Erhabene furchte die Stirn. »Jetzt ist nicht die Zeit, um in Rätseln zu sprechen, Omeon. Unsere Lage ist ernst.«
»Zweifellos«, bestätigte der Alte. »Deshalb habe ich um Verbündete geworben. Für ihre Hilfe verlangen sie jedoch einen Preis.«
»Wessen Unterhändler seid Ihr?«, fragte Mahalea scharf. »Ich will einem Verbündeten in die Augen sehen, bevor wir irgendwelche Zugeständnisse machen.«
»Das lässt sich einrichten.« Omeon wandte sich zu den Schatten jenseits des Laternenscheins um und bedeutete jemandem, näher zu kommen. Sofort legte Athanor die Hand um den Schwertgriff. Neben ihm spannte sich auch Akkamas zum Sprung, und Orkzahn verdrehte den Hals, um hinter sich zu spähen.
Eine unerwartet kleine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit. Die alte Faunin reichte Omeon nicht einmal bis zur Schulter, was auch an den beiden krummen Bocksbeinen lag, auf denen sie stand wie eine sich aufbäumende Ziege. Fast bis zur Taille hinauf war ihr Leib mit Fell bedeckt. Auf dem Rücken setzte es sich entlang der Wirbelsäule fort, um im Nacken in die etwas längeren Haare auf dem Kopf überzugehen. Die nackten Bereiche ihres Körpers waren nach Sitte der Faunfrauen mit verschlungenen Mustern bemalt, die von ihrer faltigen Haut und den ausgelaugten Brüsten ablenkten. Von der grünen Paste ging ein Duft nach Kräutern und Gräsern aus, was den Ziegengeruch jedoch nur unzureichend überdeckte. Im Gegensatz zum ergrauten Haar waren die Augen der Alten von dunklem Braun und sahen vollkommen menschlich aus. Das einzige Ziegenhafte an ihrem Gesicht war der schmale, graue Kinnbart, der allen alten Fauninnen wuchs.
»Erhabener, dies ist Edege, Älteste der Sippe der Widdergehörnten und Abgesandte aller Sippen, die in den Elfenlanden vertreten sind«, stellte Omeon sie vor.
Peredin nickte der Faunin zu. »Seid gegrüßt, Edege. Im Namen der vier Elfenvölker heiße ich Euch in Anvalon willkommen.«
»Danke, Erhabener. Wir Faune haben vom großen Unglück der Elfen erfahren und bedauern es zutiefst«, versicherte sie im Elfisch der Faune, das wie ein alter Dialekt klang.
»Omeon sagte, dass Ihr gekommen seid, um uns Eure Hilfe anzubieten«, erwiderte Peredin. »Darüber würden wir alle gern mehr erfahren.«
»Ich sehe eine Versammlung vieler Abgesandter. Das ist gut«, sagte sie, obgleich sich etwas Furcht in ihren Blick schlich, als er Orkzahn streifte. »Aber starke Arme und scharfe Zähne werden uns nicht retten. Bist du ein Schamane?«, wandte sie sich direkt an den Troll.
Überrascht schüttelte Orkzahn den Kopf.
»Wie ich Euch sagte, Edege«, mischte sich Omeon ein, »die Trollschamanen wurden von Ghulen getötet. Die Faune sind unsere letzte Hoffnung.«
Vethana lachte auf. »Wollt Ihr uns auf den Arm nehmen? Euer hohes Alter in Ehren, Omeon, aber das ist lächerlich. Sind nicht gerade erst unzählige Faune zu uns geflohen, weil sie nicht einmal mit den untoten Menschen Theroias fertig wurden? Und jetzt sollen sie uns vor gigantischen Wiedergängern retten?«
Insgeheim musste Athanor ihr recht geben. Er selbst hatte Trolle und Elfen in die Schlacht geführt, um den Heiligen Hain der Faune in Theroia zu verteidigen, weil sie selbst nicht dazu in der Lage gewesen waren. Die Entscheidung des Hohen Rats, ihm eine viel zu kleine Truppe mitzugeben, hatte viele Leben gekostet. Und trotz seiner Hilfe waren die meisten Faunmänner gefallen, weshalb sich Frauen und Kinder zu ihren Verwandten in den Elfenlanden geflüchtet hatten. Was hätten sie auch gegen Xanthos’ Untotenheer ausrichten können? Nur ihm als rechtmäßigem Herrscher Theroias war die Macht zugefallen, seine Untertanen zurück in ihre Grabstätten zu schicken.
»Wir Faune können das Ewige Licht nicht wieder zum Leuchten bringen«, gab Edege zu. »Es war ein Heiligtum des Seins, das den Elfen geschenkt wurde, und ihr habt es nicht beschützt. Auch uns Faunen erwächst daraus Unglück, aber uns trifft es nicht so hart wie euch.«
Athanor beobachtete, wie Mahalea ihre ohnehin dünnen Lippen zu einem Strich verkniff. Der Vorwurf des Versagens würde sie für immer verfolgen.
»Inwiefern leidet ihr darunter?«, erkundigte sich der Erhabene.
»Liegt das nicht auf der Hand?«, fragte Mahalea. »Sie hatten hier ein angenehmes Leben ohne strenge Winter, und die Grenzwache sorgte dafür, dass sie sich keine Sorgen um Oger, Orks oder Trolle machen mussten.«
»So ist es«, bestätigte Edege freimütig. »Es war ein gutes Land für uns. Vor allem für jene, die vor einigen Monden ihre Männer verloren.«
»Und für den Verlust dieser Vorteile, die nur uns zu verdanken waren, wollt ihr jetzt auch noch entschädigt werden, indem ihr einen Preis für eure Hilfe verlangt?«, fuhr Vethana auf.
»Das ist ein bemerkenswertes Verständnis von Gerechtigkeit«, meinte Akkamas schmunzelnd.
»Aus der Verbundenheit langer guter Nachbarschaft heraus bin ich dennoch gewillt, mir Eure Forderungen anzuhören«, sagte Peredin. »Aber ich rate Euch, nicht unverschämt zu sein, denn angesichts unserer schwierigen Lage ist meine Gutmütigkeit begrenzt.«
Die alte Faunin bebte vor unterdrücktem Zorn, dass ihr Kinnbart zitterte. »Wir Faune haben das Ewige Licht nicht erlöschen lassen, aber Elfen sollen den Tod unserer Männer beim Heiligen Hain verschuldet haben.«
»Das ist wahr«, sagte Orkzahn in die betroffene Stille. »Sie haben auch viele Trolle das Leben gekostet.«
Athanor musterte Omeon, doch dessen Miene ließ nicht erkennen, ob das Gespräch den Verlauf nahm, den er sich vorgestellt hatte. Mit dieser Konfrontation war niemandem gedient. »Ich kann beide Vorwürfe aus eigener Anschauung bestätigen. Auch wenn keinen der hier Anwesenden eine Schuld an jenen Ereignissen trifft, so sind sie doch geschehen. Angesichts der Bedrohung, der wir uns alle gegenübersehen, sollten wir uns daher versöhnlich zeigen und uns die Hände reichen.«
»Wohl gesprochen«, lobte Akkamas. »So wie Athanor und ich ein Bündnis geschlossen haben, obwohl Angehörige meines Volks das seine nahezu vernichtet haben, so sollten auch Elfen, Faune und Trolle nun aufeinander zugehen, um Schlimmeres zu verhindern.«
»Wir brauchen keine Ratschläge von Drachen und ihren Freunden!«, schnappte Vethana. »Dass Drachen und Menschen gleichermaßen heimtückisch sind, mag euch verbinden, aber uns verbindet nichts mit Trollen und Faunen!«
»Ich bin stolz darauf, dass ich nichts mit einem zauberischen Elf gemeinsam habe«, knurrte Orkzahn.
Auch Athanor hatte die unerschöpfliche Arroganz der Elfen satt. »Wer sagt eigentlich, dass wir sie brauchen?«, fragte er an seine Freunde und die Faunin gerichtet. »Rufen wir alle wohlgesinnten Drachen und Trolle zusammen und verschanzen uns in einer theroischen Festung!« Er hatte zwar keine Ahnung, wie viele diesem Aufruf folgen würden, doch alles war besser, als die Elfen anzubetteln.
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