Mit ihren Entersäbeln hebelten Hasard und Ben Brighton einen Fensterladen auf. Der Seewolf zertrümmerte die Fensterscheibe, öffnete das Fenster und schwang sich hinein. Es war ein Wohnraum, in dem er sich befand. Den Säbel in der Rechten, orientierte er sich rasch und fand den Vordereingang.
Kurz darauf waren alle Fenster und Türen geöffnet. Die Männer entfachten vorhandene Öllampen und verschafften sich einen Überblick.
Hasard zog die Kommode beiseite, die der Beschreibung nach jenes Möbelstück sein mußte, das den Zugang zum Schatz Ayaslis verdeckte.
Der Teil der Fußbodendielen, der eine Luke bildete, war nicht zu übersehen.
Im Halbdunkel erblickten die Männer die gestapelten Beutel aus Leinen und Leder. Batuti hatte eine Schubkarre in einem Lagerraum entdeckt. Sie holten die Beutel mit Gold und Silber aus dem Hohlraum und verluden den Reichtum auf die Karre. Dann sahen sie sich weiter um.
Al Conroy hatte sich in der Werkstatt bereits bestens orientiert.
„Ein teuflisches Genie“, sagte der schwarzhaarige Stückmeister und zeigte dem Seewolf eine Tabelle, die er gefunden hatte. „Luntensorten, Brennzeiten und so weiter. Alles exakt bis ins kleinste Detail festgehalten. Die interessantesten Sachen haben wir aber wohl hier.“ Er wies auf die Versuchsanordnungen, mit denen Ayasli und sein Gehilfe geprüft hatten, in welchen Arten von Hohlräumen und mit wieviel Luftzufuhr Lunten am besten brannten.
Das Pulverlager befand sich in einem Raum neben der Werkstatt, wohlweislich durch eine Doppeltür gesichert.
Ein besonderes Stück fanden die Arwenacks auf einer Werkbank am anderen Ende der Werkstatt.
Eine kleine Truhe, wie man sie für wichtige Dokumente und sonstige persönliche Habseligkeiten verwendete.
Al Conroy überprüfte das Schloß mit dem verbundenen Steinschloßmechanismus und führte die Funktion vor.
Betroffenes Schweigen kehrte ein.
„Zum Kotzen!“ knurrte Carberry in die Stille. „Einfach widerlich, solche Sachen. Was für verdammte, lausige Schurken müssen das sein, die mit so was ihre Gegner aus dem Weg räumen!“
Die Arwenacks nickten beipflichtend.
Ihnen drehte sich fast der Magen um, wenn sie sich vorstellten, wie wehrlose und vor allem völlig ahnungslose Menschen mit solchen Höllenmaschinen ins Jenseits befördert wurden. Die gemeinste und widerwärtigste Art der Auseinandersetzung überhaupt.
Der Seewolf sah sich noch einmal um. „Wenn wir die Bude vernichten, tun wir ein gutes Werk. Oder ist jemand anderer Meinung?“
„Keiner!“ rief Ferris Tucker überzeugt. „Besser würde uns wahrscheinlich gefallen, wenn wir den Höllenfürsten mit in die Luft jagen könnten!“
Beifallsgemurmel wurde laut.
Hasard sorgte mit einer Handbewegung für Ruhe. „Ich will nicht sagen, daß wir uns einfach so zurückziehen. Aber ich schlage vor, daß wir Al freie Hand lassen, damit er sein Meisterwerk vollbringen kann.“
Die Arwenacks stimmten begeistert zu.
Der schwarzhaarige Stückmeister lächelte gerührt. Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Einverstanden, Al?“
„Keine Frage.“
„Kriegst du es so hin, daß von dem gesamten Gemäuer nichts mehr übrigbleibt?“
Al grinste und deutete auf die Tür zum Pulverlager. „Mit dem Vorrat da drinnen, könnte ich halb Istanbul in die Luft jagen.“
Seine Gefährten glaubten es ihm unbesehen. Hasard mahnte zum Aufbruch. Sie vereinbarten, sich in fünfhundert Yards Entfernung an einer Gassenkreuzung zu treffen, die sie noch gut in Erinnerung hatten. Batuti übernahm die Schubkarre, und Stenmark ging mit der Laterne voraus.
Der Stückmeister blieb zurück – in seinem Element.
Al öffnete das Pulverlager und begann, Fässer mit Schwarzpulver in die einzelnen Räume des Gemäuers zu tragen. Er verteilte das Pulver so, daß auf jeden Raum etwa gleich große Ladungen entfielen.
In der Werkstatt suchte er Luntenrollen zusammen. In einem Korridor, so ermittelte er, befand sich ungefähr der zentrale Punkt, den alle Lunten von den einzelnen Räumen aus erreichen mußten.
Er wählte die Lunten für die jeweiligen Ladungen sehr sorgfältig aus. Wo die Entfernung bis zum zentralen Punkt etwas größer war, verkürzte er die Brenndauer, indem er eine dünnere Luntenart verwendete.
Schließlich verband er alle Lunten miteinander und verflocht sie mit einem einzelnen Strang, den er so durch die vordere Haustür führte, daß er keine der sternförmig auseinanderlaufenden anderen Lunten berührte.
Er unternahm einen letzten Kontrollgang durch das Gemäuer und überzeugte sich, daß alle Luntenverbindungen in Ordnung waren.
Die nächsten Nachbarn wohnten weit genug entfernt. Sie würden unsanft aus dem Schlaf geweckt und vielleicht ein leichtes Beben ihrer Häuser verspüren. Dafür aber wurden sie von der Hexenküche eines unheimlichen Zeitgenossen befreit.
Vor dem Haus entfachte Al Conroy das Luntenende, indem er zwei Flints aneinanderschlug. Er richtete sich erst auf, als er sicher war, daß die leise zischende Glut in dem Gewebestrang nicht mehr verlöschen würde.
Über den Daumen gepeilt, mußte es eine halbe Stunde dauern, bis die gesamte Bude in die Luft flog.
In leichtem Trab lief Al Conroy hinter seinen Gefährten her.
Nach etwa zehn Minuten traf er sie an der vereinbarten Stelle.
„Wir können weitermarschieren“, beantwortete der Stückmeister die fragenden Blicke der anderen. „Bevor wir den Hafen erreichen, wird es ein paar Leuten in Istanbul die Nachtruhe rauben.“
Sie setzten ihren Weg fort.
Für geraume Zeit waren der Nachhall der eigenen Schritte und das Rollen der Schubkarre die einzigen Geräusche, die sie vernahmen.
Jäh zuckte ein Blitz über das nächtliche Istanbul.
Die Arwenacks verharrten und wandten sich rasch um.
Mit grellem Rot, das sich fast zum Weiß hin färbte, stieg der Blitz am entfernten Stadtrand zum Nachthimmel auf.
Erst im nächsten Sekundenbruchteil folgte das urgewaltige Brüllen der Explosion. Es war, als hätte sich ein Gewitter zu einem einzigen geballten Donner vereinigt, der imstande war, jegliches Leben auszulöschen.
Doch dieser Eindruck trog.
Der Schaden, den die Detonation anrichtete, beschränkte sich auf das Gemäuer des Höllenfürsten.
Deutlich sahen die Arwenacks, wie Trümmerteile in der rot-weißlichen Lohe emporgewirbelt wurden. Nur langsam, unendlich langsam sank der Explosionsblitz in sich zusammen.
Der Seewolf und seine Männer marschierten weiter.
Sie hatten dem Höllenfürsten die Grundlage für sein teuflisches Handwerk entzogen. Das bedeutete aber noch lange nicht, daß er schon völlig am Ende war. Ein Mann von seiner Besessenheit würde immer wieder zu einem neuen Anfang finden.
Und ebenso würden immer wieder Auftraggeber zur Stelle sein, die begierig darauf waren, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Raffgier und Mißgunst mochten es in erster Linie sein, die in einer Stadt wie Istanbul dazu führten, daß sich Menschen gegenseitig nach dem Leben trachteten.
Deshalb durfte es einen Verbrecher wie den Höllenfürsten, der ihnen seine teuflischen Dienste anbot, nicht geben. Die möglichen Auftraggeber durften gar nicht erst in Versuchung geführt werden.
Süleyman Ayasli war eine Gefahr für das Gemeinwohl in dieser Stadt.
Und wenn man ihm nicht endgültig Einhalt gebot, konnte er mit seinem Fanatismus zu einer Gefahr für alle Bürger werden.
Er fror.
Die Nacht wurde merklich kühl, und etwas ging in seinem Inneren vor, das spürte er. Eine unerklärliche Art plötzlichen Ungehagens war es. Der Gedanke, in das kalte Wasser steigen und schwimmen zu müssen, war alles andere als erbaulich. Aber daran allein konnte es nicht liegen.
Süleyman Ayasli spürte mit allen Fasern seiner Sinne, daß sich etwas zusammenbraute, das gegen ihn gerichtet war.
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