Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert

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Das Neue Testament ist das Ergebnis einer einheitlichen Redaktion in der Mitte des 2. Jahrhunderts. Die Beiträge dieses Bandes greifen diese These von David Trobisch auf und fragen, was sie für das Neue Testament, für seinen Text und für die neutestamentliche Theologie bedeutet.
Wie lässt sich die These einer Endredaktion kritisieren, differenzieren, weiterdenken? Was besagt sie für die Datierung der neutestamentlichen Texte, welchen Einfluss hat sie auf die Vorstellungen zum gottesdienstlichen Gebrauch?
In welchem Verhältnis steht die Endredaktion zu der Schriftensammlung, die für Marcion bezeugt ist? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Textkritik? Wie müssen die Varianten beurteilt, wie die frühe Geschichte der Textüberlieferung verstanden werden?
Welche theologischen Implikationen hat die These der Endredaktion?
Die Beiträge des Bandes machen das große Potential der Endredaktionsthese deutlich und zeigen, dass die Diskussion noch ganz am Anfang steht.

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Ein großes Rezeptionshemmnis für die Ersteditionsthese stellt die Dominanz eines zumeist weitgehend unhinterfragten Zirkulations- und Sammlungsmodells dar, in dessen Rahmen die gottesdienstliche Lesepraxis als entscheidender Katalysator und die Gemeinden, die zumeist eine recht unspezifische Größe bleiben, als Instanz für die Entstehung des neutestamentlichen Kanons konzeptualisiert sind. Dieses Modell ist mit der Annahme einer einheitlichen Redaktion (und Publikation ) unvereinbar.2 Die damit angedeutete forschungsgeschichtliche Ausgangslage verweist auf das Desiderat einer umfassenden Studie zur Interdependenz von Lesepraxis auf der einen und der Edition und Publikation von Büchern im frühen Christentum auf der anderen Seite. In jedem Fall ist zu konstatieren, dass v. a. die hier knapp diskutierte breite Bezeugung der Sammlungseinheiten und der Titel in den materiellen Zeugnissen (d. h. im Handschriftenbefund und in den Ostraka) sowie in den patristischen Texten in einer deutlichen Spannung zu einem dynamisch konzeptualisierten und regional diversifizierten Zirkulations- und Sammlungsmodell steht.

Anstelle der bisher zumeist punktuell geführten Auseinandersetzung mit Einzelaspekten der Ersteditionsthese, die eigentlich keine zwingenden Gegenargumente gegen Trobischs Ideen hervorgebracht hat, sollte die zukünftige Diskussion stärker die potentielle heuristische Erschließungskraft des Modells insgesamt fokussieren, auch wenn es im Hinblick auf die Entstehung der Sammlungseinheiten in der zweiten Hälfte des zweiten Jh. vielleicht etwas differenzierter modelliert werden muss, als Trobisch dies ursprünglich gedacht hat: Damit meine ich sowohl die Annahme möglicher Vorläufer der Sammlungseinheiten einer editio princeps (z. B. die Sammlung von zehn Paulusbriefen, die für Marcion bezeugt ist) als auch die Tatsache, dass eine zeitlich etwas entzerrtere Herausgabe der einzelnen Sammlungseinheiten und eventuell darauf reagierende Herausgabe auch griechischer alttestamentlicher Texte nach dem gleichen Editionsprinzip historisch wahrscheinlicher ist als die Annahme eines einzelnen Herausgebers. Durch letzteres wäre dann auch der weniger eindeutige Quellenbefund bezüglich der katholischen Siebenbriefesammlung besser erklärbar. Die These, dass das Neue Testament als ein Buch im zweiten Jh. herausgegeben wurde, ist eine missverständliche Zuspitzung der These Trobischs, die im Rahmen der Rezeption seiner These die heuristischen Potentiale verdeckt hat, die dadurch entstehen, wenn man die Konstanz der Sammlungseinheiten in den Hss. berücksichtigt.

Abschießend ist eine Auswahl solcher heuristischer Potentiale der Ergebnisse der Studie von Trobisch kurz zu skizzieren: a) Möchte man die Querbeziehungen bzw. die narrative Kohärenz der neutestamentlichen Schriften nicht dadurch erklären, dass das Neue Testament insgesamt eine im historistischen Sinne exakte Beschreibung real-historischer Personenkonstellationen zeichnet, bietet das Modell von Trobisch diesbezüglich einen nicht zu unterschätzenden Erklärungswert. b) Die Idee von Trobisch, Pseudepigraphie als Redaktionsphänomen auf der Ebene der Zusammenstellung von Sammlungen (hier muss nicht zwingend an die Erstedition aller 27 neutestamentlichen Schriften gedacht sein) zu beschreiben, stellt gegenüber der schwerer zu konzeptualisierenden Einzelverbreitungsthese eine alternative Erklärungsmöglichkeit für die Akzeptanz von Pseudepigraphen im Neuen Testament dar.3 Trobischs Grundgedanke, der editorische Schritt der Zusammenstellung von Sammlungen neutestamentlicher Schriften könne mit einem Redaktionsschritt (also einem Eingriff in die Texte selbst) zusammenhängen, ist c) nicht nur für eine „finale“ editio princeps aller neutestamentlichen Schriften konzeptualisierbar, sondern als Möglichkeit auch für „vorkanonische“ Sammlungszusammenstellungen (Paulusbriefsammlung, Evangeliensammlungen, Corpus Iohanneum). Die daraus zu gewinnende Möglichkeit, verschiedene Sammlungsstadien zu unterscheiden, enthält d) das Potential, textkritisch feststellbare Varianten im Textbefund auf die Interferenz dieser Ausgaben in der Textüberlieferung zurückzuführen. Die damit verbundenen Konsequenzen für das in der Textkritik leitende Paradigma des „Ausgangstextes“ kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Anzumerken ist lediglich, dass sich viele Textkritiker bewusst sind, dass der Text der Handschriften nicht direkt auf die Autographen zurückgeführt werden kann,4 wie sich exemplarisch an der Wortwahl Barbara Alands in einem Aufsatz von 1989 verdeutlichen lässt. Aland resümiert, „daß unsere Handschriften auf eine sehr frühe Ausgabe oder autorisierte Abschrift o. ä. (der Terminus muß offen bleiben) zurückgehen“.5 Insgesamt folgt daraus e), dass die These Trobischs in methodologischer Hinsicht zu einer reflektierten Neubestimmung des Verhältnisses insbesondere von Textkritik und Überlieferungsgeschichte sowie zwischen neutestamentlicher Wissenschaft und Patristik herausfordert. Und damit sind wir zurück beim Thema dieses Bandes: Im Horizont des Modells einer editio princeps ist der Text des Neuen Testaments ein Text des 2. Jahrhunderts.

Geschätzt und bezweifelt. Der zweite Petrusbrief im kanongeschichtlichen Paradigmenstreit

Wolfgang Grünstäudl

Bei der Suche nach einem spannenden und ertragreichen Dissertationsprojekt war es nicht etwa eine Vorliebe für exotische Fragestellungen, die mich die Auseinandersetzung mit 2 Petr wählen ließ,1 sondern die Anregung durch David Trobischs kanongeschichtlichen Entwurf, in dem 2 Petr, üblicherweise ein Text, dessen Zugehörigkeit zum neutestamentlichen Kanon nicht unbedingt als geschichtlich wie theologisch unverzichtbar angesehen wird, plötzlich als zentrales, formgebendes Element der neutestamentlichen Schriftensammlung fungiert.2 Im Zusammenhang eines Editorials3 der von Trobisch bereits für das zweite Jh. angenommenen Kanonischen Ausgabe der gesamten christlichen Bibel leistet der 2 Petr in der Perspektive dieser Hypothese einen wesentlichen Beitrag zur „konzeptuellen Strategie“4 des Neuen Testaments und dient damit als unübergehbarer Scharnier- und Eingangstext für dessen exegetische und bibeltheologische Erschließung.

Das pointierte Gegenüber zweier so unterschiedlicher Verortungen des 2 Petr innerhalb des neutestamentlichen Kanons – einmal randständig, einmal zentral – reizte mich zu einer eingehenden Untersuchung der literarischen Verbindungen und der rezeptionsgeschichtlichen Karriere des 2 Petr. Aufgrund der Fülle der Fragen, die mit der historischen Einordnung dieses vermutlich jüngsten später neutestamentlichen Textes verbunden sind, lag der Schwerpunkt dabei rasch auf einleitungswissenschaftlichem Gebiet, wobei unter anderen mit der Abhängigkeit des 2 Petr von der Offenbarung des Petrus5 eine These vorgeschlagen werden konnte, die unmittelbare Folgen für die Interpretation des 2 Petr zeitigt und mittlerweile – für mich sehr erfreulich – Eingang in die Kommentarliteratur gefunden hat.6

Die Einladung zur Diskussion mit der „Dresdner Schule“ um Matthias Klinghardt, deren Anliegen es ist, die Idee einer Kanonischen Ausgabe im Anschluss an David Trobisch weiter auszugestalten und für die konkrete exegetische Arbeit fruchtbar zu machen,7 bietet nun die Gelegenheit, jenen Impuls, der mich vor Jahren zum 2 Petr geführt hatte, im vorliegenden Beitrag wieder aufzugreifen und der Frage nachzugehen, wie sich der 2 Petr in die beiden zur Zeit akzentuiertesten kanongeschichtlichen Entwürfe einfügt. Ein erster Abschnitt rekapituliert dabei sehr knapp die bekannte Rolle des 2 Petr im Rahmen des klassischen Entwicklungsparadigmas (vgl. 1), wonach dann, der Spur des vermutlich ältesten erhaltenen 2 Petr-Manuskripts (𝕻 72) folgend, das von Trobisch entwickelte Editionsparadigma eingehender diskutiert wird (vgl. 2), ehe ein Blick auf die Relevanz der intertextuellen Verknüpfungen des 2 Petr diese Untersuchung beschließt (vgl. 3).

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