Kriton:Gut.
Sokrates:Nämlich doch die guten Meinungen soll man ehren, die schlechten nicht?
Kriton:Ja.
Sokrates:Und die guten, sind das nicht die der Vernünftigen, die schlechten aber die der Unvernünftigen?
Kriton:Wie anders?
Sokrates:Wohlan, wie wurde wiederum hierüber gesprochen? Ein Mann der Leibesübungen treibt und sich dies zum eigentlichen Geschäfte macht, wird der wohl auf Jedermanns Lob und Tadel und Meinung achten, oder nur auf jenes allein, auf des Arztes oder des Turnmeisters?
Kriton:Auf jenes allein.
Sokrates:Also fürchten muß er auch nur den Tadel, und Freude haben nur an dem Lobe jenes Einen, und nicht der Menge?
Kriton:Offenbar.
Sokrates:Auf die Art also muß er zu Werke gehn und sich üben und essen und trinken wie dieser Eine es gut findet, der Meister und Sachverständige, vielmehr als wie alle Andere insgesamt.
Kriton:So ist es.
Sokrates:Wohl! Ist er aber diesem Einen unfolgsam, und achtet seine Meinung und sein Lob gering, höher aber das der andern unkundigen Leute; wird ihm dann nichts übles begegnen?
Kriton:Wie sollte es ihm nicht?
Sokrates:Was ist nun wohl dieses Übel? worauf zielt es, und was trifft es von dem Unfolgsamen?
Kriton:Seinen Leib offenbar: denn diesen zerrüttet er.
Sokrates:Wohl gesprochen. Ist es nun nicht eben so mit allem Andern, Kriton, damit wir nicht alles durchgehn; also auch mit dem gerechten und ungerechten, dem schändlichen und schönen, dem guten und bösen, worüber wir eben jetzt beratschlagen, ob wir hierin der Meinung der Mehresten folgen und sie fürchten müssen, oder nur des Einen seiner, wenn es einen Sachverständigen hierin gibt, den man mehr scheuen und fürchten muß als alle Anderen, welchem dann nicht folgend wir uns das verderben werden und verstümmeln, was eben durch das Recht besser wird, durch das Unrecht aber untergeht. Oder gibt es dergleichen nichts?
Kriton:Ja wohl, denke ich wenigstens, Sokrates.
Sokrates:Wohlan denn! wenn wir nun das, was durch das Ungesunde zerrüttet, durch das Gesunde aber gebessert wird, indem wir nicht der Sachkundigen Meinung gehorchen, zerrüttet haben, lohnt es wohl noch zu leben nach dessen Zerrüttung? Dies ist aber doch der Leib? oder nicht?
Kriton:Ja.
Sokrates:Lohnt es nun wohl zu leben mit einem abgeschwächten und zerrütteten Leibe?
Kriton:Keinesweges.
Sokrates:Allein wenn jenes zerrüttet ist, soll es doch noch lohnen zu leben, was eben durch Unrechthandeln beschädiget wird durch Rechthandeln aber gewinnt? Oder halten wir das etwa für schlechter als den Leib, was es auch sei von dem unsrigen, worauf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sich beziehen?
Kriton:Keinesweges.
(48) Sokrates:Sondern für edler?
Kriton:Bei weitem.
Sokrates:Also keinesweges, o Bester, haben wir das so sehr zu bedenken, was die Leute sagen werden von uns, sondern was der Eine, der sich auf gerechtes und ungerechtes versteht, und die Wahrheit selbst. So daß du schon hierin die Sache nicht richtig einleitest, wenn du vorträgst, wir müßten auf die Meinung der Leute vom Gerechten, Schönen und Guten und dem Gegenteil Bedacht nehmen. Aber doch, könnte wohl jemand sagen, haben die Leute es ja in ihrer Gewalt uns zu töten.
Kriton:Offenbar freilich auch dieses; und so könnte es leicht Jemand sagen, o Sokrates.
Sokrates:Ganz wahr. Allein, du Wunderlicher, nicht nur dieser Satz selbst, den wir durchgenommen, erscheint mir wenigstens noch immer eben so wie vorher, sondern betrachte nun auch diesen, ob er uns noch fest steht oder nicht, daß man nämlich nicht das Leben am höchsten achten muß, sondern das gut leben.
Kriton:Freilich besteht der.
Sokrates:Und daß das gute mit dem gerecht und sittlich leben einerlei ist, besteht der oder besteht er nicht?
Kriton:Er besteht.
Sokrates:Also von dem Eingestandenen aus müssen wir dieses erwägen, ob es gerecht ist daß ich versuche von hier fortzugehen ohne daß die Athener mich fortlassen, oder nicht gerecht. Und wenn es sich als gerecht zeigt, wollen wir es versuchen : wo nicht, es unterlassen. Die du aber vorbringst, o Kriton, die Überlegungen wegen Verlust des Geldes und des Rufs und Erziehung der Kinder daß das nur nicht recht eigentlich Betrachtungen dieser Leute sind, die leichtsinnig töten und eben so hernach gern wieder lebendig machten wenn sie könnten, alles ohne Vernunft; und daß nur nicht im Gegenteil für uns, da ja unsere Rede es so festsetzt, gar nichts anderes zu überlegen ist, als wie wir eben sagten, ob wir gerecht handeln werden, wenn wir denen, welche mich von hier fortbringen wollen, Geld zahlen und Dank dazu, und wenn wir selbst, ihr mich fortbringt, und ich mich fortbringen lasse, oder ob wir nicht in Wahrheit unrecht handeln werden indem wir dies alles tun! Und wenn sich zeigt, wir können dies nur ungerechterweise ausführen, daß wir dann nur nicht jenes, ob wir sterben müssen, wenn ich hier bleibe und mich ruhig verhalte, oder was sonst erleiden, gar nicht in Anschlag bringen dürfen gegen das Unrecht handeln.
Kriton:Schön dünkt mich das gesagt, Sokrates. Sieh aber, was wir tun wollen.
Sokrates:Gemeinschaftlich, du Guter, wollen wir das überlegen; und hast du etwas einzureden, wenn ich rede, so rede ein, und ich will dir folgen. Wo aber nicht, so höre auf mir immer dieselbe Rede zu wiederholen, ich solle wider der Athener Willen von hier fortgehn. Denn es ist mir ja wohl viel wert wenn du mich überredest dieses zu tun, nur nicht wider meinen Willen. (49) Betrachte also den Anfang der Untersuchung ob er dir genützt, und suche das Gefragte zu beantworten nach deiner besten Meinung.
Kriton:Das will ich versuchen.
Sokrates:Sagen wir, man müsse auf gar keine Weise vorsätzlich unrecht tun? oder auf einige zwar nur auf andere nicht? oder ist auf keine Weise das Unrechthandeln weder gut noch schön, wie wir oft ehedem übereingekommen sind, und auch jetzt eben gesagt worden? oder sind uns alle jene Behauptungen von ehedem seit diesen wenigen Tagen verschüttet? Und so lange, o Kriton, haben wir, so bejahrte Männer, nicht gemerkt, daß wir im ernsthaftesten Gespräch mit einander, doch nichts besser waren als die Kinder? Oder verhält es sich ja auf alle Weise so, wie wir damals sagten, die Leute mögen es nun annehmen oder nicht, und es mag uns nun deshalb noch härter ergehen als itzt, oder auch besser, das Unrechttun ist doch dem der es tut schädlich und schändlich auf alle Weise? Wollen wir dies sagen oder nicht?
Kriton:Das wollen wir.
Sokrates:Auf keine Weise also soll man unrecht tun?
Kriton:Nein freilich.
Sokrates:Also auch nicht der, dem unrecht geschehen ist, darf wieder unrecht tun, wie die meisten glauben, wenn man doch auf keine Weise unrecht tun darf?
Kriton:Es scheint nicht.
Sokrates:Und wie doch? darf man mißhandeln, oder nicht?
Kriton:Man darf es wohl nicht, Sokrates.
Sokrates:Aber wie, wieder mißhandeln, nachdem man schlecht behandelt worden, ist das wie die meisten sagen, gerecht oder nicht?
Kriton:Auf keine Weise.
Sokrates:Denn Jemanden schlecht behandeln ist nicht unterschieden vom unrecht tun.
Читать дальше