Zum Dritten gab es da, wie von Schopenhauer aufgezeigt, die Möglichkeit, selber „zu wollen “, teilzuhaben, mit allen erdenklichen Mitteln, Mühen und Kräften die von vielerlei wechselseitigem Wollen durchtobte Raserei „des Lebens“ mitzumachen ! Sich bewusst ins Geschirr des angeblich namenlos ewig waltenden „Willens“ zu spannen und mitzuwirken an und in „seinem“ Wahn, - eingeschlossen die Möglichkeit dabei auch Leiden zu schaffen : Mit individuell eigenem Wollen - bei mehr oder weniger Wirksamkeit - napoleonisch gewissermaßen einzugreifen in die Betriebsamkeit dieser Welt, ihr gleichsam den Stempel des eigenen Lebens-Willens aufzudrücken , so, wie dieser Lebenswille einen jeden schließlich erhält - und diesen auszuweiten und einzubringen als einen „Willen zur Macht“, - um Geltung zu ver- und zu erlangen in gestaltendem Schaffen , als Schöpfer, mehr oder weniger maßlos oder gottgleich sozusagen tätig zu sein und als Handelnder eben auch schuldig zu werden, mit der Kraft auch dazu, - da man „das Dasein“ als Experiment des Erkennenden begreift, der vor allen anderen seinen „ Sinn “, sein „ Ziel “, seinen „ Zweck “ im Auge hat und nach dessen „ Verwirklichung “ trachtet, - oder zumindest, wie bei N dann wiedergefunden - welcher fest und unerschütterlich in einem solchen Glauben zu leben beschlossen zu haben oder aber auch nur dazu verurteilt zu sein schien!
Wie schon erwähnt hielt der junge Mann von vor weit mehr als einem halben Jahrhundert, der inzwischen zum Verfasser dieser weitläufigen Abhandlung über Ns Wahn und Wirklichkeit geworden ist, diese drei „Lebenswege“ mit allerlei Nebenpfaden als wirkliche Möglichkeiten nur in enger Verschlungenheit ineinander für „gangbar“, da sich ohnehin - von Anfang an! - wohl höchst selten wählen lässt, welchem Schwerpunkt man geneigt sein könnte, definitiv den Vorzug zu geben, weil sich dergleichen - durch tausenderlei Umstände befördert oder verhindert! - jeweils ergibt - was sich allenfalls erst am Ende ermitteln lässt, wo auf diesen 3 Ebenen der Schwerpunkt des eigenen Lebensweges wirklich gelegen hat oder gar gelegen haben musste.
Soweit im Kurzformat Schopenhauer und was von ihm als „Lehre fürs Leben“ dauerhaft übrig blieb. Dann kam, hübsch in zeitlicher Reihenfolge, mit Unterstützung durch den damals im ersten Anlauf detailliertesten N-Biographen Richard Blunck (der viele Jahre später von Paul Janz fortgesetzt wurde) an die Reihe, - wieder mit Wagners Musik und Schriften so zu dem einen und anderen nebenher, garniert gewissermaßen, zu Rate gezogen und selbstverständlich klanglich in aller Fülle vom damaligen Wunderwerk Tonband erklungen und genossen, um in mittlerweile gespannterer Erwartung endlich die Weihen „höherer“, bedeutenderer, herausgehobener Lebensformen und Rangordnungen kennenzulernen und zu empfangen auch: Eingeweiht zu werden in die Kunst des bedeutenden, überlegenen , heroisch erhabenen Lebens, in etwas, was eine „sittliche Persönlichkeit“ und „Tapferkeit des Herzens“ sowie „Unerschrockenheit und Unermüdlichkeit des Geistes“ ausmacht und sei, - „verbunden mit der größten Empfänglichkeit für alle Möglichkeiten des europäischen Geistes und zugleich ihrer kritischen Durchdringung, verbunden auch mit Tiefe der Schau in das Wesen des Menschen und prophetischer Hell- und Weitsicht“, welche sich, wie das Vorwort des N-Biografen Richard Blunck zur „Kindheit und Jugend“ von N (weiter kam jener nicht!) es so vollmundig und hochtrabend versprochen hatte und sich an N angeblich „in einem Maße zeigt, wie es die Geschichte des abendländischen Denkens nicht ein zweites Mal bietet“. BL.11
Wohlan, soweit! Das sollte also die unvergleichbare Vorbildlichkeit sein! - Noch zu einer Zeit, da Deutschland von seinem letzten Wahnsinn befreit noch weitgehend in Trümmern lag. Und diese weitgehende Wüste des Zertrümmertseins hatte seine früheste Jugend realiter geprägt! Die Erwartungen waren hoch gesteckt! Er las daraufhin entsprechend genau, - allerdings mit seinem nun mal unvermeidlicherweise auf das Praktische des Lebens ausgerichteten Sinn, - unbeschwert durch irgendwelche in philosophischen Schulungen erworbenen und anerzogenen Blindheiten und Einseitigkeiten: Ohne also „zurechtdressiert“ zu sein - auf zumindest einem Auge! - Nein, er hielt sich von philosophischen Grundsätzen, traditionell fachgerechten Denkregeln, Vorurteilen und überkommenen „Selbstverständlichkeiten“ weitgehend unberührt und ließ alles auf seinen - selbstverständlich auch „nur“ subjektiv gefärbten - ihm angeborenen „gesunden Menschenverstand“ wirken und fand: Verglühte Flammen, Schall und Rauch, Asche und hohle Phrasen und darüber hinaus nichts, woran für ein deutlich und übergewichtig schwer zu ertragendes schlechtes Gewissen ein logischer und moralischer Halt zu gewinnen war; - stattdessen nur immer wieder aufgrund wesentlicher Fehlstellen dabei dieses eindringliche, nicht abzuweisende, untrügliche Gefühl : Das darf doch nicht wahr sein ! - letztlich zu so gut wie allem und jedem, was er da von N zu lesen erhalten hatte! -
Bei seinen Betrachtungen Ns hatte er den Vorteil, rein zufällig schon einmal, allerdings in einer anderen Übersetzung als derjenigen, in der N diesen kennengelernt hatte, die meisten Essays des amerikanischen Schriftstellers Ralph Waldo Emerson, 1803-1882, gelesen zu haben und bei diesem somit in eine Schule subjektivistischer Übertreibungen und Maßlosigkeiten gegangen zu sein sodass ihm von daher ein gewisses Vergleichsmaß zur Verfügung gestanden hatte und vieles bei N ihm deshalb beinahe unerträglich „ bekannt “ vorkam!
Das Erste, was ihm in Ns Texten auffiel war, dass nirgends übers Ganze hinweg schlüssige Logik zum Vorschein kam und zweitens, viel bedeutsamer, dass überall niemand anderes vorkam, als N selber; - ohne damals schon - auf Anhieb! - klar erkannt zu haben, in welchem Maß bei N alles ohne, bzw. gegen „die Anderen“ angelegt war! Das fand er - zumindest ! - enttäuschend ! - Als „Lehre“ ergab das Ganze eine riesige, „würdige“, glanzvoll und ganz in Leder gebundene Ernüchterung , - teils mit Goldschnitt sogar. Aber er war schlauer geworden, hatte gelernt dabei, Erfahrungen hinzugewonnen und sah sich veranlasst, weiterhin nachzudenken , - vor allem darüber, wie es möglich war, dass derlei Schriften einen solchen Erfolg und vor allem einen so verheerenden Einfluss totaler Zerstörung eines ganzen Landes gewinnen konnten, obgleich es nichts „Wirkliches“ darin gab, keine Erkenntnisse über irgendwelche außerhalb von N liegender Realität! Er hatte nichts als persönliche Verfassungen und einfach draufhauende Behauptungen vorgefunden, - allenfalls! - Kaum etwas - herzlich wenig sogar! - war nach mehreren Seiten hin durchdacht . Das Meiste ließ auf beanstandenswerte Weise die zuletzt gemachten geschichtlichen Erfahrungen auf die eben schlecht durchdachte Weise in ihren Ansätzen erkennen. Mehr nicht! Da gab es, wie es ihm schien, nichts, was sich außerhalb oder gar „oberhalb“ anders oder gar „besser“ als nur „psychologisch bedingt“ erklären ließ: Da gab es nur Personen - nun ja, was sonst! - aber nichts, was über sie hinaus irgendwelche grundsätzlich verlässliche Gültigkeit besitzen, beanspruchen oder vermitteln konnte - und könnte!
Über all das machte er sich Gedanken, viele Jahre lang und fasste immer wieder zusammen, woran die Probleme, die er mit all dem hatte, wohl liegen konnten. Ein ganzes Buch über N war dabei bis 1967 zusammengekommen. Bestehend aus sehr viel Kritik und nachweislichen Erkenntnissen zu Ns höchst bedenklichen und sonderbar erscheinenden Schleichwegen zu philosophisch erscheinenden Zusammenhängen: 616 damals noch mit der Schreibmaschine geschriebene Seiten lang, - zu denen er, als es „fertig“ war, den Mut aber nicht mehr hatte und es liegen ließ, a) weil seine Version des Themas den allgemein verbreiteten und damals noch sehr streng als heilig gehandhabten Gültigkeiten N‘scher Herrlichkeit und dessen „prophetischer Hell- und Weitsicht“ BL.11widersprach und nicht recht in die Zeit zu passen schien und ihn zu all dem b) mehr und mehr auch Geld- und Existenzsorgen bedrängten bis endlich, nach vielen vergeblichen und entmutigenden Anfragen dann ein doch noch gefundener Verlag durchaus berechtigte Überarbeitungswünsche als unabweislich notwendig erscheinen ließ, - was jedoch inzwischen aus zeitlichen Gründen in erwünschtem Maß so gut wie unerfüllbar war, weil er - um nicht endgültig in einem ewigen Hungerleiderdasein zu landen! - seine Schriftstellerei-Träumereien - wie er meinte vorerst! - an den Nagel gehängt und angefangen hatte, sich eine „ordentliche“ beruflich Position, die auch „etwas Vernünftiges“ zur dauerhaften Bestreitung der täglichen Lebenskosten - zum Erhalt eines sicher und wirkungsvoll rauchenden Schornsteins! - einbrachte, aufzubauen. Das beanspruchte täglich viel Zeit, Aufmerksamkeit und Einsatzbereitschaft , so dass das „Problem N“ vorerst auf unvermeidbare Weise - recht weit sogar! - ins Hintertreffen geriet, aber im Hinterkopf trotzdem nie ganz versiegte, auch wenn er erkannt hatte, dass eine umfassende „Abrechnung“ mit seinen Problemen weder nebenbei, noch weniger aber zu bewältigen war unter dem Dauerproblem der Frage, wovon am nächsten Tag wohl der Schornstein überhaupt, wenn auch nur aufs Spärlichste, rauchen sollte.
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