Dem ersten folgen noch sechs weitere Kreuzzüge, die – so makaber es auch klingen mag – den ersten intensiven Kontakt zwischen Orient und Okzident, zwischen Morgenland und Abendland herstellen. Während Christen und Muslime einander um die Wette die Hälse durchtrennen, begegnen sich zum ersten Mal ihre Kulturen. Die Ritter des christlichen Heeres bemerken, dass es auch ihre Gegner an Tapferkeit und Mut nicht fehlen lassen. Hüben wie drüben geht es Kriegern um die Verteidigung der eigenen Wertvorstellungen und nicht nur um die pure Lust am Krieg. Aus der Anerkenntnis der Unterschiedlichkeit entwickelt sich auch so etwas wie Achtung vor den jeweils anderen Vorstellungen. Aber trotz allem ist das Vordringen der christlichen Heere nach Jerusalem den muslimischen Fürsten natürlich ein Dorn im Auge.
Die Rückeroberung Edessas durch Fürst Zengi (1082 – 1146), dem Statthalter von Mosul, im Jahr 1144 bietet den Anlass für den zweiten Kreuzzug, dem der französische Abt Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153) die entsprechende ideologische Ausrichtung gibt:
„Im Tod des Heiden sucht der Christ seinen Ruhm, weil Christus verherrlicht wird.“
Bernhard von Clairvaux’s Parole von der „vollständigen Ausrottung der Heiden oder deren sichere Bekehrung“ überzeugt dieses Mal nicht nur den französischen König Ludwig VII. (1120 – 1180), sondern auch den deutschen König Konrad III. (1093 – 1152), der, hingerissen von der Beredsamkeit des Abtes, am Weihnachtstag des Jahres 1145 „das Kreuz nimmt“, wie es in den Annalen zu lesen steht. Im Mai 1147 brechen deutsche Truppen unter königlicher Führung auf, bald darauf erreichen etwa 30.000 Kreuzfahrer auf dem Landweg über Ungarn Konstantinopel. Auch dieses Mal ereignen sich unter dem Deckmantel des Kreuzzuges Judenpogrome, die angestachelt von einer Mischung aus Mordlust und religiöser Erregung in Prag, Würzburg und einigen rheinischen Städten ihre Opfer finden. Fanatische Prediger wiegeln zügellose Volksmassen auf, die die Juden vor die Wahl stellen: Tod oder Taufe!
Die Katastrophe dieses Kreuzzuges wird den christlichen Waffenbrüdern erst im Angesicht ihres eigentlichen Zieles der Unternehmung klar. Denn die islamischen Heerführer haben Edessa in Schutt und Asche gelegt, bevor die Kreuzfahrer die Stadt erreichen. Es gibt nichts mehr zu befreien und das stürzt die Anführer der christlichen Heerscharen in helle Aufregung. Im Juni 1148 beschließen der Hochadel des Königsreichs Jerusalem und die Kreuzfahrer, anstelle der niedergebrannten Stadt Edessa nun Damaskus zu belagern. Ausgerechnet Damaskus! Denn Damaskus ist in jenen Jahren die einzige muslimische Stadt, die den Christen zugetan ist. Das Unternehmen „Damaskus“ mündet in einem blutigen Debakel, an dessen Ende die Damaszener Jagd auf die Belagerer machen. Schließlich ziehen die christlichen Ritter ab und begeben sich 1150 auf die beschwerliche Heimreise, zwei Jahre nachdem sie von Regensburg aufgebrochen sind.
Saladin I.
Anfang 1187 gibt es erneut schlechte Nachrichten aus Jerusalem. In unmittelbarer Umgebung der Heiligen Stadt treibt ein christlicher Raubritter namens Rainald von Chattilon (1125 – 1187) sein Unwesen, indem er Landkarawanen überfällt und ausraubt. Bei einer seiner Unternehmungen ist ausgerechnet die Schwester des Sultans Saladin (1137 – 1193) an Bord einer geplünderten Karawane. Sie kommt bei diesem Überfall durch die Hand eines christlichen Ritters ums Leben, woraufhin Saladin gelobt, den Täter unter allen Umständen zur Strecke zu bringen. Am 4. Juli desselben Jahres gelingt ihm das auch eindrucksvoll in der Schlacht von Hattin an den Ufern des Sees Genezareth.
Da zu dieser Zeit Gleiches mit Gleichem vergolten wird, lässt Saladin nicht nur Rainald von Chattilon enthaupten, sondern auch noch ein paar andere Ritter. Sein eigentliches Ziel aber ist die Rückeroberung Jerusalems, wo seit 88 Jahren christliche Herrscher das Sagen haben. Die Belagerung der Heiligen Stadt beginnt am 21. 9. 1187. Die christlichen Verteidiger sind in deutlicher Unterzahl, wehren sich aber tapfer und fürs erste auch erfolgreich. Schließlich verlagert Saladin seine Truppen auf den Ölberg und lässt von dort Jerusalem mit Pfeilen unter Dauerbeschuss nehmen. Gleichzeitig beginnen muslimische Kämpfer die Stadtmauer zu untergraben – ähnlich wie es die christlichen Ritter 1099 gemacht haben. Diesen Angriff können die Verteidiger Jerusalems noch zurückschlagen, aber ihnen ist auch klar, dass sie den Attacken Saladins nichts mehr entgegen zu setzen haben.
Die Christen in Jerusalem wollen den Märtyrertod sterben, um den Feinden nicht lebend in die Hände zu fallen. Aber Heraclius von Caesarea (ca. 1140 – 1191), der Patriarch von Jerusalem, hält sie mit dem Hinweis davon ab, dass dann ihre Frauen und Kinder versklavt werden würden. Heraclius droht Saladin damit, die Al-Aqsa-Moschee und den Felsendom zu zerstören, um Gespräche über ein friedliches Ende der Belagerung von Jerusalem herbeizuführen. Schließlich einigen sich beide Seiten darauf, dass sich die Verteidiger Jerusalems frei kaufen können. Nur diejenigen, die das geforderte Geld nicht aufbringen können, sollen in die Sklaverei geschickt werden. Aber dazu kommt es nicht, denn Saladin lässt alle Bewohner Jerusalems unbehelligt von dannen ziehen und übernimmt am 2. 10. 1187 die Regentschaft in der Heiligen Stadt – fast ohne Blutvergießen. Anschließend gelingt es Sultan Saladin, weitere Kreuzfahrer-Staaten zurück zu erobern. Das Ende der christlichen Herrschaft über diesen Teil des Nahen Ostens scheint besiegelt.
Als die Kunde von der Rückeroberung Jerusalems in Europa die Runde macht, wird schnell der Ruf nach einem neuen Kreuzzug laut. Aber der nun folgende dritte Zug christlicher Ritter in den Nahen Osten ist wegen interner Streitigkeiten über die richtige Strategie von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aus deutscher Sicht hat dieser dritte Kreuzzug insofern eine gewisse Bedeutung, weil der deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1122 – 1190) beim Bad in einem knietiefen Fluss vor den Augen seiner Heerführer tot zusammenbricht. Die Lage im Nahen Osten ist in den kommenden Jahren durch die Rückeroberung weiterer „Kreuzfahrerstaaten“ gekennzeichnet. Da die militärischen Erfolge der muslimischen Heere Gründe für weitere Kreuzzüge liefern, dreht sich die Spirale der Gewalt im Nahen Osten immer weiter. Der vierte Kreuzzug von 1202 bis 1204 soll eigentlich der Rückeroberung Palästinas dienen, wendet sich aber gegen das christliche Konstantinopel. Die Stadt wird 1203 belagert, geplündert und zerstört. Das anschließend gegründete so genannte „Lateinische Kaiserreich“ bindet aber derart viele militärische und finanzielle Mittel, dass der eigentliche Gedanke der Kreuzzüge kaum noch eine Rolle spielt.
Die Phase der Kreuzzüge dauert bis 1272. Die Soldaten des Herrn richten dabei fürchterliche Blutbäder an und fügen dem Ansehen des Christentums schweren Schaden zu. Die Brutalität, mit der sie zu Werke gegangen sind, hat der Brutalität, die sie den islamischen Kriegern unterstellt haben, in nichts nachgestanden. Mehr noch: Die Kreuzzüge sind begleitet von Massakern an unbeteiligten Menschen und von Pogromen an der jüdischen Bevölkerung. Die schamlose Brutalität, mit der die Gotteskrieger im Auftrag des Papstes in der Heiligen Stadt zu Werke gegangen sind, ist der Beginn einer Gewalteskalation im Namen des christlichen Herrn gewesen. Rund 900 Jahre vor den ersten Dschihadisten des 21. Jahrhunderts sind es die mittelalterlichen Päpste, die den Grundstein für religiösen Fundamentalismus und „heilige Kriege“ gelegt haben. Ein Umstand, der das Verhältnis zwischen Christen und Moslems bis heute schwer belastet.
„Universitas Christiana“
Nach knapp 200 Jahren sind die Kreuzzüge beendet, die Zahl der Opfer ist nicht genau zu ermitteln, sie hat mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Millionen betragen. Die geopolitische Landkarte des Nahen Ostens ist durch die Kreuzzüge nicht nachhaltig verändert worden. Vorher wie nachher ist dieser Teil der Welt mehrheitlich von islamischen Staaten geprägt, von denen das bis 1922 existierende Osmanische Reich das bedeutendste werden sollte. So wenig die Kreuzzüge auch erreicht haben, so bedeutend sind sie für den europäischen Kontinent gewesen.
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