»Wenn du kein Geld hast, kannst du auch auf eine andere Weise bezahlen«, schlug er vor, während sein unangenehmes Grinsen noch breiter wurde.
Als er die andere Hand ausstreckte und ihre Wange berührte, reagierte Caitlin reflexartig und schlug ihm kräftig auf die Finger, bevor sie ihr Handgelenk aus seinem Griff befreite. Überrascht stellte sie fest, wie stark sie wieder geworden war.
Der Mann war offensichtlich verblüfft, dass eine zierliche, junge Frau so viel Kraft hatte. Sein Grinsen verschwand schlagartig, und sein Gesichtsausdruck wurde finster. Dann spuckte er ihr vor die Füße. Angewidert sah Caitlin, dass etwas davon auf ihren Schuhen gelandet war.
»Du kannst froh sein, dass ich kein Kleinholz aus dir mache«, knurrte er, bevor er sich abrupt umdrehte und das letzte Tau löste.
Wut überkam Caitlin, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Waren Männer überall gleich? Zu jeder Zeit, in jeder Epoche? War das ein Vorgeschmack darauf, was sie hinsichtlich der Behandlung von Frauen hier erwartete? Als sie daran dachte, was sich Frauen alles gefallen lassen mussten, wurde sie noch wütender. Auf einmal hatte sie das dringende Bedürfnis, stellvertretend für alle Frauen einzutreten.
Der Kerl beugte sich immer noch vor und war mit dem Tau beschäftigt, als sie schnell mit dem Fuß ausholte und ihm kräftig in den Hintern trat. Im hohen Bogen flog er mit dem Kopf zuerst ins Meer, das sich rund fünf Meter unterhalb befand. Das Wasser spritzte auf, als er mit einem lauten Platschen aufschlug.
Dann lief Caitlin schnell mit Rose die Gangway hinauf und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Sie hoffte, dass niemand den Vorfall beobachtet hatte, weil alles so schnell geschehen war. Offensichtlich war das der Fall, denn die Besatzung zog die Gangway ein, und das Schiff setzte seine Segel.
Caitlin blickte über die Reling ins Wasser und konnte den Mann erkennen, dessen Kopf immer wieder auftauchte. Er ballte die Faust und schrie: »Stoppt das Schiff! Stoppt das Schiff!«
Doch seine Schreie wurden vom Jubel der aufgeregten Passagiere übertönt, die sich freuten, als das Schiff endlich ablegte.
Schließlich bemerkte ein Besatzmitglied den Mann im Wasser, rannte an die Reling und folgte mit dem Blick dem ausgestreckten Zeigefinger, der in Caitlins Richtung deutete.
Caitlin wartete nicht ab, was passieren würde, sondern tauchte in der Menge unter. Geduldig schob sie sich immer weiter und hoffte, dass man Rose und sie nicht entdecken würde.
Das Boot nahm zunehmend Fahrt auf. Nach einer Weile atmete Caitlin tief durch, als ihr klar wurde, dass niemand sie zu suchen schien.
Allmählich wurde sie ruhiger und bahnte sich wieder einen Weg zurück an die Reling.
In der Ferne konnte sie brutalen Kerl erkennen, der sich gerade aus dem Wasser hievte – aber jetzt war er nur noch ein kleiner Punkt am Horizont. Caitlin lächelte zufrieden – das geschah ihm recht.
Als sie sich umdrehte, entdeckte sie, dass Venedig näherrückte.
Ihr Lächeln wurde noch strahlender, während sie an der Reling lehnte und die kühle Meeresbrise ihr Haar zurückwehte. Die Temperatur an diesem warmen Maitag war perfekt, und die Salzluft war erfrischend. Rose sprang neben ihr in die Höhe und stützte sich mit den Vorderpfoten auf die Reling. Sie schien den Ausblick und die frische Luft ebenfalls zu genießen.
Caitlin hatte Schiffe immer schon geliebt. Leider hatte sie noch nie ein echtes, historisches Segelschiff gesehen – und schon gar nicht war sie auf einem gesegelt. Lächelnd korrigierte sie sich selbst in Gedanken: Das hier war kein historisches Schiff. Im Jahr 1790 war es hochmodern. Beinahe hätte sie bei dem Gedanken laut aufgelacht.
Die großen Holzmasten ragten in den Himmel. Fasziniert sah sie zu, wie die Matrosen sich in einer Reihe aufstellten und an den dicken Tauen zogen. Viele Meter schweren Segeltuchs wurden gehisst – das dicke Material knatterte im Wind. Die Arbeit war schwer, und die Matrosen schwitzten in der Sonne, während sie sich mit aller Kraft abmühten.
So wurde das also gemacht. Caitlin war beeindruckt, wie effizient die Männer Hand in Hand arbeiteten. Es war kaum zu glauben, wie schnell dieses überfüllte Schiff durch das Wasser glitt, und das ohne einen modernen Motorantrieb. Sie fragte sich, was der Kapitän dieses Segelschiffes wohl sagen würde, wenn sie ihm von den Schiffsmotoren des einundzwanzigsten Jahrhunderts erzählen würde. Wahrscheinlich würde er sie für verrückt erklären.
Rund sechs Meter unter ihr rauschte das Wasser vorbei, kleine Wellen schlugen gegen Schiffswand. Das Wasser war einfach wunderbar klar und blau.
Die Menschen um sie herum versuchten, ebenfalls einen Platz an der Reling zu ergattern, um aufs Wasser hinauszublicken. Ihr fiel auf, wie einfach gekleidet viele von ihnen waren, die meisten trugen eine Tunika und Sandalen, manche waren sogar barfuß. Andere jedoch waren elegant angezogen, und ganz offensichtlich versuchten sie, sich von den Massen fernzuhalten. Einige Leute trugen kunstvolle Masken mit langen, vorspringenden Nasen. Sie lachten und rempelten sich gegenseitig an – offenbar waren sie betrunken.
Als sie sich genauer umsah, stellte sie fest, dass eine ganze Reihe Passagiere Weinflaschen dabei hatten und so früh am Morgen schon angeheitert wirkten. Auf dem ganzen Schiff herrschte ausgelassene Feierstimmung, als wären die Leute auf dem Weg zu einem großen Fest.
Caitlin beschloss, ganz nach vorne zum Bug des Schiffes zu gehen, und drängte sich erneut durch die Menge – vorbei an Eltern, die ihre Kinder auf dem Arm trugen. Dann hatte sie es geschafft und konnte nun die Aussicht genießen, die sie sich gewünscht hatte. Neugierig beugte sie sich vor, während das Schiff zügig auf Venedig zuhielt.
Der ungehinderte Blick auf die Stadt raubte ihr den Atem. Sie erkannte die Konturen, die wunderschönen, historischen Gebäude, die alle mit dem Fronten zum Wasser zeigten. Einige Fassaden waren wirklich prachtvoll und mit allen möglichen Verzierungen versehen. Viele Häuser hatten Bogenelemente und Bogenfenster, und erstaunlicherweise befanden sich viele Haustüren auf Wasserniveau. Es war einfach unglaublich. Man konnte buchstäblich mit dem Boot bis vor die Haustüren fahren und in die Häuser eintreten.
Mitten zwischen den Gebäuden ragten Kirchturmspitzen empor, und hin und wieder war eine Kuppel am Horizont zu erkennen. Diese Stadt war in einem großartigen Baustil – prachtvoll und sehr kunstvoll – errichtet worden. Die Stadt stand nicht nur am Wasser, sondern sie umarmte es förmlich.
Und überall gab es kleine Bogenbrücken, die die Häuserzeilen miteinander verbanden, und in der Mitte befand sich ein großer Platz. Überall spazierten Menschen herum oder saßen am Ufer und beobachteten die vorüberfahrenden Schiffe.
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