Er richtete den Blick auf den großäugigen, einfachen Soldaten, den er in wenigen Augenblicken töten würde. Der Bursche war gekleidet wie viele Soldaten der Imperialen Ordnung – zumindest die besser ausgerüsteten unter ihnen. Er trug einen ledernen Brustharnisch, einen ärmelartigen Schutzpanzer am rechten Arm sowie eine Reihe von ledernen Riemen und Gürteln, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Waffen steckten. So bedrohlich seine Ausrüstung wirken mochte, der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet Bestürzung und Entsetzen.
Einen Augenblick lang überlegte Nicholas verwirrt, was ein derart nichtiger Mensch wohl vorzubringen haben mochte, daß er bereit war, sein Leben dafür herzugeben.
»Was gibt’s, nichtsnutziger Narr?«
Der Mann hob einen Arm, dann seine Hand und schließlich einen Finger – auf eine Art, die Nicholas an nichts so sehr erinnerte wie an eine Marionette, deren Fäden jemand anderer hielt. Der Finger neigte sich zur einen, dann zur anderen Seite und schließlich wieder zurück, wie bei einem Menschen, der einen mit erhobenem Finger drohen will.
»Tz, tz, tz.« Der Finger schnellte abermals zur Seite. »Ihr solltet etwas höflicher sein, sehr viel höflicher sogar.«
Der Soldat, die Augen aufgerissen, schien selbst von seinen hochtrabenden Worten überrascht. Die Stimme klang viel zu tief, zu erwachsen, um diesem jungen Mann zu gehören.
Außerdem verströmte die Stimme äußerste Gefährlichkeit.
»Was soll das?« Nicholas musterte den Soldat stirnrunzelnd. »Was hat das zu bedeuten?«
Der Mann machte Anstalten, den Raum zu betreten, wobei sich seine Beine in höchst seltsamer, ungelenker Manier bewegten. Sie erinnerten Nicholas daran, wie es aussehen mußte, wenn er sich nach längerer Abwesenheit von seinem Körper seiner eigenen Beine bediente. Er trat zur Seite, als der Mann mit unbeholfenen Bewegungen bis zur Mitte des düsteren Raumes ging und sich dort herumdrehte. Blut troff von der Hand, die gegen die Tür gehämmert hatte, doch der Mann, die Augen noch immer ängstlich aufgerissen, schien sich der zweifellos schmerzhaften Verletzungen nicht bewußt.
Seine Stimme dagegen verriet nicht die geringste Spur von Angst. »Wo sind sie, Nicholas?«
Nicholas trat zu ihm hin und neigte fragend den Kopf zur Seite. »Sie?«
»Ihr habt sie mir versprochen, Nicholas. Ich mag es nicht, wenn man sein Wort nicht hält. Wo sind sie?«
Nicholas’ Miene verfinsterte sich noch mehr, er beugte sich noch weiter vor. »Wer?«
Der Soldat ließ seinem Zorn freien Lauf. »Richard Rahl und die Mutter Konfessor!«
Nicholas trat einige Schritte zurück. Jetzt begriff er. Er hatte gehört, was man sich erzählte, hatte gehört, daß der Mann zu diesen Dingen fähig war. Jetzt, endlich, sah er es mit eigenen Augen. Dies war Kaiser Jagang, der Traumwandler höchstselbst!
»Bemerkenswert«, sagte er gedehnt. Er ging auf den Soldaten zu, der kein Soldat war und tippte ihm mit dem Finger seitlich gegen den Kopf. »Seid Ihr dort drinnen. Euer Exzellenz?« Er tippte ihm erneut gegen die Schläfe. »Ihr seid es, hab ich Recht Exzellenz?«
»Wo sind sie, Nicholas?« Noch nie hatte jemand Nicholas eine bedrohlicher klingende Frage gestellt.
»Ich habe Euch versprochen, Ihr werdet sie bekommen, und so wird es auch geschehen.«
»Ich denke, Ihr belügt mich, Nicholas«, knurrte die Stimme. »Ich glaube nicht, daß Ihr sie, wie versprochen, bereits habt.«
Nicholas machte eine wegwerfende Handbewegung und entfernte sich gemächlich ein paar Schritte. »Ach, Unfug. Ich habe sie längst am Gängelband.«
»Das sehe ich anders. Ich habe Grund zu der Annahme, daß sie sich mitnichten hier im Süden befinden. Ich habe Grund zu der Annahme, daß die Mutter Konfessor weit oben im Norden weilt ... bei ihrer Armee.«
Nicholas ging stirnrunzelnd auf ihn zu, beugte sich ganz nah zu ihm hin und blickte ihm tief in die Augen. »Legt Ihr eigentlich alle Vernunft ab, wenn Ihr, wie jetzt, im Verstand eines anderen herumgeistert?«
»Soll das heißen, ich irre mich?«
Nicholas war drauf und dran, die Geduld zu verlieren. »Ich war gerade dabei, sie zu beobachten, als Ihr hier hereingeplatzt seid, um mich zu belästigen. Sie waren alle beide da – sowohl Lord Rahl als auch die Mutter Konfessor.«
»Seid Ihr Euch dessen sicher?«, drang die tiefe, kernige Stimme aus dem Mund des jungen Soldaten.
Nicholas stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Zweifelt Ihr etwa an meinen Worten? Wie könnt Ihr es wagen! Ich bin Nicholas der Schleifer. Ich lasse nicht zu, daß man mich in Zweifel zieht!«
Der Soldat trat angriffslustig einen Schritt vor, doch Nicholas blieb standhaft und hob warnend einen Finger. »Wenn Ihr sie bekommen wollt, solltet Ihr verdammt vorsichtig sein.«
Der junge Soldat betrachtete ihn aus ängstlich aufgerissenen Augen, in denen Nicholas jedoch etwas ganz anderes sah: Bedrohlichkeit.
»Raus mit der Sprache, bevor ich die Geduld verliere.«
Nicholas verzog verdrießlich seinen Mund. »Wer immer Euch erzählt hat, daß sie oben im Norden weilen, weiß entweder nicht, was er da redet, oder er lügt Euch an. Ich habe stets ein wachsames Auge auf sie gehalten.«
»Aber habt Ihr sie in jüngster Zeit gesehen?«
Allmählich wurde es dunkel. Nicholas machte eine Handbewegung Richtung Tisch, schickte einen kleinen Funken seiner Gabe in die drei dort stehenden Kerzen und entzündete deren Dochte.
»Wie ich bereits sagte, habe ich sie eben noch beobachtet. Sie befinden sich in einer Ortschaft, nicht weit von hier. Ihr werdet Euch nicht mehr lange gedulden müssen.«
»Woher nehmt Ihr die Gewißheit, daß sie zu Euch kommen werden?«
»Weil ich über jeden ihrer Schritte bestens unterrichtet bin.« Nicholas hob die Arme über den Kopf, so daß sein Gewand bis zu den Ellenbogen herunterglitt umkreiste seinen Besucher überschwenglich gestikulierend und sprach dabei von Dingen, von denen allein er Kenntnis hatte. »Ich beobachte sie. Ich habe sie des Nachts beieinander liegen sehen, die Mutter Konfessor zärtlich den Arm um ihren Gemahl gelegt, seinen Kopf an ihrer Schulter, um seine entsetzlichen Schmerzen zu lindern. Ein rührender Anblick, in der Tat.«
»Seine Schmerzen?«
»Richtig, seine Schmerzen. Zur Zeit sind sie in Northwick, einer Ortschaft unweit nördlich von hier. Sobald sie dort fertig sind, sofern sie ihren Aufenthalt dort überleben, werden sie sich auf den Weg hierher machen, zu mir.«
Jagang, im Körper des Soldaten, blickte um sich und erfaßte die Körper der erst vor kurzem Verstorbenen, die an der Wand lehnten, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Nicholas zuwandte.
»Ich fragte, woher Ihr die Gewißheit nehmt?«
Nicholas sah über seine Schulter und bedachte den Kaiser mit einem selbstgefälligen Blick. »Nun, seht Ihr, diese Narren hier – die Säulen der Schöpfung, die Euch so faszinieren – haben den bedauernswerten Lord Rahl vergiftet. Und zwar deshalb, weil sie sich dadurch seiner Hilfe bei der Befreiung von uns vergewissern wollten.«
»Ihn vergiftet? Seid Ihr sicher?«
Der interessierte Unterton in der Stimme des Kaisers entlockte Nicholas ein Lächeln. »Oh ja, vollkommen sicher. Der beklagenswerte Bursche leidet derzeit fürchterliche Schmerzen. Er benötigt unbedingt ein Gegenmittel.«
»Demnach wird er alles daransetzen, sich dieses Gegenmittel zu beschaffen. Richard Rahl ist ein Mann von außerordentlicher Findigkeit.«
Nicholas verschränkte die Arme. »Er mag findig sein, im Augenblick jedoch steckt er bis zum Hals in Schwierigkeiten. Seht Ihr, er benötigt zwei weitere Dosen dieses Gegenmittels. Eine davon befindet sich in Northwick; deswegen hat er sich dorthin begeben.«
»Ihr wärt überrascht, zu erfahren, zu was dieser Mann imstande ist.« Der angriffslustige Ärger in der Stimme des Kaisers war nicht zu überhören. »Es wäre überaus töricht von Euch, diesen Mann zu unterschätzen, Nicholas.«
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