Lars Kepler - Paganinis Fluch

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Paganinis Fluch: краткое содержание, описание и аннотация

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»Aber vor dem Erhängen hat er noch gelebt?«, fragt Joona.

»Ja.«

Åhléns schmales Gesicht ist glatt rasiert und finster.

»Kannst du die Fallhöhe schätzen?«, fragt Joona.

»Es liegen weder an der Halswirbelsäule noch an der Schädelbasis Frakturen vor – sodass ich schätzen würde, dass es sich nur um vierzig oder fünfzig Zentimeter gehandelt haben kann.«

»Ja …«

Joona denkt an die Aktentasche mit den Abdrücken von Palmcronas Schuhen. Er öffnet nochmals den Bericht und blättert bis zum Abschnitt »Äußere Besichtigung« vor, der Untersuchung der Haut am Hals, den gemessenen Winkeln.

»Woran denkst du?«, fragt Åhlén.

»Ich frage mich, ob die Möglichkeit besteht, dass er mit derselben Schlinge erwürgt und anschließend bloß an der Decke aufgehängt wurde.«

»Nein«, antwortet Åhlén.

»Warum nicht?«

»Warum nicht? Es gab nur eine Furche, und die war perfekt«, erläutert Åhlén. »Wenn eine Person sich erhängt, schneidet das Seil oder die Leine in den Hals ein und das …«

»Aber das könnte ein Täter doch wissen«, unterbricht Joona ihn.

»Aber es ist praktisch unmöglich, das zu rekonstruieren. Du weißt doch, beim vollständigen Erhängen muss die Furche der Schnur um den Hals wie eine Pfeilspitze geformt sein, mit der Spitze nach oben, genau am Knoten …«

»Weil das Gewicht des Körpers die Schlaufe zuzieht.«

»Ja, genau … Und aus dem gleichen Grund soll sich der tiefste Teil der Furche genau gegenüber der Spitze befinden.«

»Dann starb er also definitiv durch Erhängen«, konstatiert Joona.

»Ohne jeden Zweifel.«

Der große, hagere Pathologe beißt sich sanft in die Unterlippe.

»Könnte man ihn zum Selbstmord gezwungen haben?«, fragt Joona.

»Nicht mit Gewalt – dafür gibt es jedenfalls keine Anzeichen.«

Joona schließt den Bericht, trommelt mit beiden Händen leicht darauf und denkt, dass die Andeutungen der Haushälterin über andere Menschen, die in Palmcronas Tod verwickelt waren, doch nur wirres Gerede gewesen sind. Trotzdem wollen ihm die zwei verschiedenen Fußabdrücke nicht aus dem Sinn, die Tommy Kofoed gefunden hat.

»Dann bist du dir in Bezug auf die Todesursache also sicher?«, fragt Joona und sieht Åhlén in die Augen.

»Womit hattest du eigentlich gerechnet?«

»Das hier«, antwortet Joona zögernd und legt den Finger auf die Mappe mit dem Obduktionsbericht, »ist haargenau das, womit ich gerechnet habe, aber gleichzeitig ist da etwas, was mich einfach nicht loslässt.«

Åhlén lächelt schmallippig.

»Nimm den Bericht mit und lies ihn als Gutenachtgeschichte.«

»Okay«, erwidert Joona.

»Ich glaube allerdings, dass du Palmcrona vergessen kannst … etwas Spannenderes als einen Selbstmord wirst du nicht finden.«

Åhléns Lächeln erstirbt, und sein Blick senkt sich, Joonas Blick dagegen ist weiter scharf, konzentriert.

»Du hast sicher recht«, sagt er.

»Ja«, antwortet Åhlén. »Und wenn du willst, kann ich für dich gerne noch ein bisschen spekulieren. Carl Palmcrona war höchstwahrscheinlich depressiv, denn seine Fingernägel waren ungepflegt und schmutzig, die Zähne hatte er sich seit Tagen nicht mehr geputzt und er war unrasiert.«

»Ich verstehe«, sagt Joona und nickt.

»Du darfst ihn dir gerne ansehen.«

»Nein, das wird nicht nötig sein«, erwidert Joona und steht schwerfällig auf.

Åhlén lehnt sich vor und erklärt mit erwartungsvoller Stimme, so als hätte er sich auf diesen Moment gefreut:

»Heute Morgen habe ich etwas wesentlich Spannenderes hereinbekommen. Hast du noch ein paar Minuten Zeit?«

Er erhebt sich und gibt Joona zu verstehen, dass er mitkommen soll. Joona folgt ihm den Korridor entlang. Ein hellblauer Schmetterling hat sich ins Haus verirrt und flattert vor ihnen her.

»Ist dieser eine Typ eigentlich nicht mehr hier?«, erkundigt sich Joona.

»Wer?«

»Der früher bei euch war, er hatte einen Pferdeschwanz und …«

»Frippe? Doch, verdammt. Der muss bei uns bleiben. Er hat heute bloß frei. Gestern hat in der Globen-Arena Megadeath mit Entombed als Vorgruppe gespielt.«

Sie durchqueren einen dunklen Saal mit einem Obduktionstisch aus rostfreiem Stahl. Es riecht beißend nach Desinfektionsmittel. Dann betreten sie einen kühleren Raum, in dem die Leichen in gekühlten Schubfächern verwahrt werden.

Åhlén öffnet eine Tür und schaltet die Deckenbeleuchtung ein. Die Neonröhren flackern auf und verbreiten ihr Licht in einem weiß gekachelten Saal, in dem ein langer plastiküberzogener Obduktionstisch mit einem Doppelbecken und Abflussrinnen steht.

Auf dem Tisch liegt eine sehr schöne junge Frau.

Ihre Haut ist sonnengebräunt, die langen schwarzen Haare ringeln sich in dichten, glänzenden Locken auf Stirn und Schultern. Sie scheint mit einer Mischung aus Zweifel und Verblüffung in den Raum zu blicken.

Da ist ein verschmitzter Zug um ihre Mundwinkel wie bei einem Menschen, der häufig lächelt oder lacht.

Aus ihren großen dunklen Augen ist jedoch aller Glanz verschwunden. Es haben sich bereits bräunlich gelbe Flecken in ihnen gebildet.

Joona betrachtet die Frau auf dem Tisch. Er denkt, dass sie kaum älter als neunzehn, zwanzig Jahre sein kann. Vor nicht allzu langer Zeit war sie ein kleines Kind, das bei seinen Eltern schlief. Dann wurde aus ihr ein Schulmädchen, und nun ist sie tot.

Über der Brust der Frau, auf der Haut über dem Brustbein, sieht man schwach eine gebogene Linie, die wie ein fröhlicher, grau aufgemalter Mund von ungefähr dreißig Zentimeter Länge aussieht.

»Was ist das für ein Strich?«, fragt Joona.

»Keine Ahnung, vielleicht der Abdruck einer Halskette oder der Saum eines Sweaters, das werde ich mir später ansehen.«

Joona betrachtet den leblosen Körper, atmet tief durch und fühlt sich wie immer angesichts der unausweichlichen Tatsache des Todes von einer Düsternis übermannt, die wie bleiche Einsamkeit ist.

Das Leben ist so furchtbar zerbrechlich.

Ihre Finger- und Zehennägel sind in einem beigerosa Ton lackiert.

»Und was ist jetzt das Besondere an ihr?«, fragt er nach einem kurzen Moment.

Åhlén wirft Joona einen ernsten Blick zu, und als er sich erneut der Leiche zuwendet, blitzt seine Brille auf.

»Die Wasserschutzpolizei hat sie hergebracht«, erläutert er. »Als man sie fand, saß sie auf der Koje im Vorpiek einer großen Motorjacht, die in den Schären trieb.«

»Tot?«

Åhlén begegnet seinem Blick, und seine Stimme klingt auf einmal melodisch.

»Sie ist ertrunken, Joona.«

»Ertrunken?«

Åhlén nickt und lächelt, seine Mundwinkel zittern.

»Sie ist an Bord eines treibenden Boots ertrunken«, sagt er.

»Wahrscheinlich hat sie jemand im Wasser gefunden und an Bord getragen.«

»Sicher, aber wenn ich das glauben würde, hätte ich deine kostbare Zeit nicht beansprucht«, erwidert Åhlén.

»Worum geht es?«

»Es gibt an ihrem übrigen Körper keinerlei Spuren von Wasser – ich habe die Kleider zur Analyse geschickt, aber das Labor wird auch nichts finden.«

Åhlén verstummt, blättert ein wenig in den Ergebnissen der vorläufigen Äußeren Besichtigung und schielt danach zu Joona hinüber, um zu sehen, ob es ihm gelungen ist, dessen Neugier zu wecken. Joona steht vollkommen still, sein Gesicht ist auf einmal verändert. Er betrachtet den toten Körper mit wacher, registrierender Miene. Plötzlich nimmt er sich ein Paar unbenutzter Latexhandschuhe aus einem Karton und zieht sie an. Åhlén sieht sehr zufrieden aus, als Joona sich über das Mädchen beugt und vorsichtig ihre Arme anhebt und sie studiert.

»Du wirst keine Spuren von Gewaltanwendung finden«, erklärt Åhlén fast lautlos. »Es ist unbegreiflich.«

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